Tag 26, Tag 27 – Zwei Tage am Zielort Dushanbe, Hauptstadt der Tadschiken

Da sind wir nun, am Ziel angekommen. Ende.
Beim Aufwachen, gegen halb acht, fühlt es sich irgendwie anders an als sonst. Vor uns liegen heute keine hunderte Kilometer lange Autofahrt, kein aufwirbelnder Staub, keine Suche nach geeigneter Schlafgelegenheit, kein Streß mit Tanken — kein Abenteuer, kein Heidenspaß. Melancholie ist wohl die Beschreibung für die morgendliche Gefühlslage des Teams. Es folgt nurmehr ein letzter Abgesang und wir sind mehr oder weniger nur noch Touris in einer mäßig spannenden Hauptstadt.

Wir treffen uns gegen acht zum Frühstück. Das Hotel scheint leer zu sein, wir sind die einzigen Gäste am Buffet. Kaffee ist die erste Herausforderung des Tages. Der Vollautomat, chinesisches Fabrikat, ist launisch und gibt das schwarze Elexier nur unter Protest ab. Erst eine ganz bestimmte Abfolge bei der Bedienung der Tasten führt zum Erfolg – das ist nur was für den Knöppedrücker.
Nach dem Frühstück kommt die Truppe langsam in Gang, verschiedene Dinge stehen auf dem Tagesprogramm. Die geliebten Fahrzeuge müssen ausgeräumt und das Verkaufs-Prozedere ein Gang gebracht werden. Außerdem wollen wir ein soziales Projekt besuchen und anschließend die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt abklappern.

Zunächst treffen wir uns mit Kamol und Vitaly, den beiden lokalen Organisatoren der Tajik Rally. Die beiden kümmern sich im wesentlichen um die eher undurchsichtigen Formalitäten des Autoverkaufs und die Verwendung des Erlöses. Außerdem unterstützt Vitaly eine Reihe sozialer Projekte, z.B. ein größer angelegten Fussballprojekts mit Kindern in den Problemvierteln von Dushanbe. Und zu eben diesem Projekt fahren wir heute morgen. Ein letzter kurzer Ausflug mit Bonnie. Josch schläft noch, dafür haben wir den erstaunlich frischen Kölner Christoph vom Team Future Sailors mit, siehe vergangene Nacht. Weil am Ort gerade ein Kongress zentralasiatischer Wirtschaftsminister stattfindet, müssen wir riesige Umwege fahren, um das umzäunte Fussballfeld in einem Vorort zu erreichen. Auf dem Weg dahin passieren wir ein paar Vermächtnisse sowjetischer Baukunst: Abgeschmackte Platte. Dicht an dicht drängen sich mehrstöckige, windschiefe Plattenbauten, die trotz ihres erbärmlichen oder gar baufälligen Zustandes immer noch Heimstatt für zigtausende Menschen sind. Nur hie und da sieht man ein paar Neubauten. Hier möchte man wirklich nicht leben.
Mitten drin steht ein Kumpel von Vitaly und trainiert die kleinen Jungs, die sich sonst auf der Straße herumtreiben würden. Durch den Fussball bekommen sie neben der sportlichen Betätigung grundlegende Fähigkeiten vermittelt: Teamgeist, Fairness und Disziplin. Das sei für die Entwicklung der Jungs enorm wichtig, so der Trainer.
Wir haben Geschenke für den Trainer und seine Jungs dabei: Fünfzehn Lederbälle und fünf Volleybälle, extra für diesen Zweck zurück behalten. Die Freude ist riesengroß, denn die Spielgeräte haben gefehlt. Trikots hatten sie bereits von anderen Spendern erhalten. Leider die aus unserer Sicht falschen: Jerseys vom FC Bayern. Vor der Übergabe demonstrieren uns die Kids ihre Fertigkeiten in einer Trainingssession und in einem kurzen Trainingsspiel gegen uns. Wir Erwachsenen werden zweimal hintereinander 1:0 abgefertigt. Kein Wunder, nach vier Wochen Autofahrt. Im Sitzfussball hätten wir sie bestimmt locker abgezogen…
Zurück in der Stadt gehen Cord und der ausgeschlafene Josch auf die obligatorische Suche nach einem Geldautomaten für unser MasterCard-Plastik. Auch hier wieder ein riesiger Umstand. Ich nehme mir fest vor, zu Hause endlich auch eine VisaCard anzuschaffen. Verdammt nochmal.
Der Nachmittag ist schnell erzählt: Die Sehenswürdigkeiten des Ortes, die hauptsächlich von Josch und Cord abgeklappert werden, sind der Rudaki Park, der (seit einigen Wochen nicht mehr) höchste Fahnenmast der Welt, der Präsidentenpalast, Somoni-Statue und die Prachtstrasse Rudaki-Prospekt. Alles in allem ein sehr überschaubares Ensemble touristischer Attraktionen. Den Grünen Markt, zentraler historischer Basar der Stadt, finden wir leider nicht mehr – er musste einem künftigen Bauprojekt weichen und wurde einfach abgerissen. So schade.
Am Abend treffen wir uns mit Vitaly und den verbliebenen vier Teams zum gemeinsamen Abendessen. Es geht in das Restaurant der lokalen SimSim-Brauerei. Lecker, lecker – sowohl die Gerichte als auch die beiden vor Ort gebrauten Biersorten. Im Gegensatz zur Party des Vorabends, die wir ja leider verpassten, wird heute maßvoll mit Vodka umgegangen. Einigen steht der gestern schmerzvoll erlernte Respekt vor diesem Getränk deutlich in’s Gesicht geschrieben. Die Gespräche drehen sich natürlich ausnahmslos um die Erlebnisse der Rally. Teils launig , teils ernst werden die Geschichten und Anekdoten der letzten vier Wochen wort- und gestenreich ausgebreitet. Einmal mehr durchleben wir all die Highlights unseres Abenteuer-Trips in Erzählform.
Am Rande des Abends macht das Team Südheide die letzte ‚Spende‘ der Rally für die von Vitaly organisierte Existenzgründungs-Initiative klar. Unsere Sponsoren, die Firmen Lenze, encoway und logicline, werden das Siegerteam der nächsten tajikischen Gründer-Challenge für zwei Wochen nach Deutschland einladen. Im DOCK.ONE, dem Digitalisierungs-Labor der drei Firmen, kann dieses Team dann, mit Unterstützung deutscher Experten, weiter an seiner Geschäftsidee feilen. Wir sind gespannt, was daraus wird.

Gegen Mitternacht endet der nette Abend im Brauhaus und Taxis bringen die Teams zurück in ihre Hotels. Nur die Südheide ist noch nicht ’satt‘ und macht einen klitzekleinen Umweg über das Opera, einem angesagten Nachtclub mitten in der Stadt. Mit frischen Somoni (tajikische Währung) versorgt, gönnen wir uns ein paar anständig bemessene Drinks in diesem großartigen Tanz- und Anbaggerschuppen.
Wir fallen natürlich auf – außer uns sind nur Locals am Start und wir tragen orange Team-Shirts.
Die uns reichlich entgegengebrachte Aufmerksamkeit der weiblichen Anwesenden ist jedoch sehr wahrscheinlich nicht der Attraktivät unseres Äußeren geschuldet. Wir merken schnell, dass gewisse, später auch offensiv geäußerte, professionelle Interessen Hintergrund der mehr oder weniger charmant vorgetragenen Annäherungsversuche sind. Am Ende müssen die sichtlich enttäuschten Damen ohne uns und unsere Devisen auskommen. Einziger Einsatz bleiben 20 Somoni, mit der eine der jungen Frauen den DJ ‚überredet‘ ein wenig Rammstein durch die Boxen dröhnen zu lassen. Anders ist Carsten ja nicht auf die Tanzfläche zu bekommen.
Der ausnehmend lustige Abend endet in den frühen Morgenstunden nach einer kurzen Taxifahrt mit dem üblichen ‚Gute Nacht John-Boy‘ in den weichen Betten des Rohat-Hotels.

Am Morgen danach geht es etwas gemächlicher. Josch schläft sich anständig aus, die anderen Drei sind mit ihrer senilen Bettflucht um halb neun schon wieder beim Frühstück.
Dieser letzte Tag ist schnell erzählt. Es muss jetzt nach Hause gehen, jeder weitere Tag hier wäre unnütz. Wir sind mit Kamol verabredet, um beim ortsansässigen Notarius einen kyrillischen und damit für uns unverständlichen Kaufvertrag für Bonnie und Clyde zu unterzeichnen. Das Prozedere geht für hiesige Verhältnisse erstaunlich schnell: Warten bis wir dran sind, drei Unterschriften als Verkäufer, fertig, raus. Die Kopien werden wir später bekommen, wenn die Käufer, die wir nicht kennen, auch unterschrieben haben. Na meinetwegen.
Zurück am Hotel laufen uns zwei deutsche Studenten über den Weg, die hier auf einer geologischen Exkursion sind/waren. Von denen erfahre ich, dass mein für die nächste Nacht angesetzter Flieger nach Frankfurt um 12 Stunden verschoben ist. Gratuliere! Nach einiger Recherche und Telefoniererei bekomme ich diese Nachricht von Somon Air bestätigt. Leider ist damit auch mein Anschluß nach Bremen hinfällig und die Flüge am Abend sind ausgebucht. Toll. Also werde ich dann in Deutschland mit der Bimmelbahn nach Hause zuckeln. Die Stimmung ist erstmal im Keller.
Cord und Josch sind unterdessen wieder auf Sightseeing-Tour und besuchen das Teehaus. Was immer dieses abgefahrene Prunkgebäude auch sein mag. Damit verpassen sie leider die Ziel-Zeremonie, die kurzfristig noch für heute Nachmittag ansteht. Gemeinsam mit den Future Sailors, Christoph und Martin, bekommen wir bei der Caritas unsere Rally-‚Zertifikate‘ ausgestellt. Zarinamo, eine lokale Mitarbeiterin von Caritas Deutschland, bedankt sich für die vielen Spenden und hält für jedes Team eine kurze Ansprache. Ein wenig gerührt machen wir mit ihr noch ein paar Fotos, dann geht es wieder zurück. Wir hängen ein wenig ab, essen einen Happen und warten auf den Abend. Noch einmal wollen wir zum Abschluß gemeinsam in die Sportsbar gehen, eine Kneipe in fussläufiger Entfernung. So recht kommt heute aber keine Stimmung mehr auf. Nach zwei, drei Runden Bier machen wir uns gegen elf auf den Heimweg in’s Hotel. Einzig Josch hat Energie und will noch bleiben – Fussball gucken. Na dann mal los, das wird eine kurze Nacht. Um dreiuhrfünfzehn kommt der Shuttle zum Flughafen…
Carsten schnarcht schon als ich aus dem Bad komme – und so murmele ich mein letztes ‚gute Nacht John-Boy‘ nur leise vor mich hin.

Bonnie&Clyde: Warten vorm Hotel auf ihre Abholung
Stimmung im Team: Durchschnittliche Tage, netter Fussball, extrem lustiger erster Abend
Kilometer: 35 – zum Fussball-Feld
Wetter: Zwei warme Spätsommertage

Eine Antwort auf „Tag 26, Tag 27 – Zwei Tage am Zielort Dushanbe, Hauptstadt der Tadschiken“

  1. Ein wunderbarer Blog über ein wunderbares Abenteuer!
    Ich hab hier Zuhause jeden Abend mit Spannung auf den Refresh-Button des immer geöffneten Browser-Tabs gedrückt und darauf gewartet, dass eine neue spannende Episode eures Berichtes auf meinem Bildschirm erscheint. Und darauf, dass bei der Lektüre derselben sich dieses besondere, wohlige Gemisch aus Fernweh und Wanderlust kribbelnd vom Nacken hinunter bis in den Gasfuß ausbreitet.

    Nun seid ihr, und damit ich, am Ende eurer Reise angelangt, und es macht sich auch bei mir ein Stück weit Ernüchterung breit, angekommen zu sein obwohl ich niemals wirklich ankommen wollte. Daher schreibe ich, bevor ich diesen Browser Tab endgültig schließe, diesen Kommentar, um euch für euren wunderbaren Bericht zu danken.
    Dann bis zum nächsten Jahr! Ich hoffe, ihr plant schon was!

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