Tag 25 – Dem Ziel entgegen – Schlußspurt nach Dushanbe

Der Tag heute wird der letzte im Sattel unserer treuen koreanischen Gefährten Bonnie und Clyde werden. Diese Schlußetappe hat es aber in sich, ein wüster Höllenritt über 14 Stunden.
Der lange Tag beginnt deshalb früh. Josch hat den Hausherren unserer urgemütlichen B&B-Pension dazu überredet, dass er uns bereits um 06:30 Uhr das Frühstück bereitet. Draußen, natürlich.
Und so sitzen wir schon kurz nach Sonnenaufgang auf den weichen Diwanen seiner überdachten Terrasse. Die Mannschaft ist einigermaßen ausgeschlafen, denn die Matratzen in den Betten unserer beiden herrlich kitschig eingerichteten Zimmern waren wunderbar. Lustig ist, dass neben den typischen Elementen eines tajikischen Frühstücks auch kleine Schokoriegel, Mars und Snickers, gereicht werden.
Unsere Herberge ist stadtauswärts bereits günstig in richtiger Richtung gelegen, und wir kommen zügig schon deutlich vor acht Uhr los. Unterwegs werden wir nochmal tanken und zu diesem Zweck unsere fast leeren Kassen auffüllen müssen. Die hiesigen Banken machen erst um acht auf – so lang wollen wir nicht warten – und unterwegs werden wir zwei größere Städte passieren.
Oh Mann, Team Südheide, ihr seid nicht lernfähig. Natürlich gibt es auch heute wieder keinen einzigen Bankomaten entlang des Weges, der unserer MasterCards schlucken mag. …

Die heutige Etappe führt zunächst wieder etliche Stunden an der gebirgigen afghanischen Grenze entlang von Khorog über Kaleikhum nach Kulyab. Von dort wird es dann durch den flacheren Südwesten bis nach Duschanbe weitergehen. Zehn bis zwölf Stunden anstrengende Fahrt insgesamt prophezeite uns der Besitzer unserer letzten Herberge, doch am Ende werden es über vierzehn Stunden sein.
Für die ersten 400 Kilometer bis Kulyab benötigen wir bereits fast elf Stunden. Die Strasse ist die meiste Zeit in erbärmlichem Zustand. Die Landschaft entlang der holprigen Strecke, die stetig dem Lauf des immer reißender werdenden Grenzflusses Pyandzh folgt, ist allerdings wieder wunderschön. Beiderseits des Flusses, auf der tajikischen wie auf der afghanischen Seite, wechseln sich kleinere und größere Dörfer mit kargen aber malerischen Gebirgslandschaften ab.
Auf der afghanischen Seite sehen wir jetzt immer häufiger Menschen, die ihrem Tagwerk nachgehen oder auf Esel oder Moped von A nach B unterwegs sind. Kinder winken uns zu, Frauen waschen Wäsche oder große Teppiche an geschützen Stellen des reißenden Flusses. Carsten würde am liebsten anhalten und mit seiner klapprige Angel den Salmoniden nachsetzen – doch die Zeit drängt leider zu sehr.

Eigentlich hatten wir erwartet, auf diesem Abschnitt des Pamir Highway viele schrottreife chinesische LKW zu treffen, die ihre vermeintlichen Billig-Produkte auf der heiklen Strecke gen Westen transportieren. Tatsächlich begegnen wir nur einer knappen Handvoll Lastwagen, die in zum Teil halsbrecherischen Manövern auch die engsten und steilsten Passagen hoch über dem Fluss mit einer unglaublichen Seelenruhe durchfahren.

Der Tag heute bietet wieder eine ‚Desensibilisierungs-Kur‘ für mich. Desensibilisierung gegen Staub und Dreck. Seit Bonnie seiner Klimaanlagenfunktion verlustig gegangen ist, können wir zwischen ‚zu warm im Wagen, wenig Staub‘ und ‚angenehme Temperatur im Auto, Staub satt‘ wählen. Fazit: Der Staub steckt in jeder Ritze, in wirklich jeder.
Am Nachmittag legen wir doch noch eine Pause ein, die Mägen knurren. In einem kleinen Dorfrestaurant an der Strasse machen wir Rast und sitzen nett direkt über dem Grenzfluss. Wir können wählen zwischen Omelett und Fisch – mehr hat der Koch nicht im Kühlschrank. Wir nehmen beides.
Zum Bezahlen kommen wir nicht. Ein sichtlich angetrunkener Local übernimmt die Rechnung und setzt sich zu uns. Auf TajikischRussischMitDreiWortenEnglischDeutsch versucht er uns gestenreich klarzumachen, dass wir Blutsverwandte seien. Er stamme in direkter Linie von den Ariern ab, wie eben auch wir. Brüder im Blute sozusagen. Für uns etwas befremdlich, als Arier angesehen zu werden. Auf der Weiterfahrt befragen wir Google nach den stammesgeschichtlichen Zusammenhängen. Und tatsächlich, der Mann hat recht. In Kurzform: Der Tajike ist ein Perser und der Perser ein Arier – wie eben auch der Teutone irgendwie ein Stück Arier ist. Nun gut.
Heute sehen wir entlang der Grenze deutlich mehr Grenzsoldaten, die augenscheinlich gelangweilt zu Fuß an der Strasse entlang auf Patrouille unterwegs sind. Liegt wohl daran, dass das Gebiet hier deutlich stärker besiedelt ist. Leider nimmt auch die Zahl der Kontrollposten zu. EINE Kontrollstation am Ausgang des Pamir war ja zu erwarten. Letztendlich kommen wir aber an sechs oder sieben Schlagbäumen vorbei – einmal hatten wir sogar zwei Posten innerhalb von 300 Metern. Das Ärgerliche daran ist, dass wir jedesmal mindestens 20 Minuten Zeit verlieren, wenn die Beamten mit enervierender Ruhe die Daten unserer Pässe und Fahrzeugscheine per Hand in irgendwelche Heftchen eintragen. Ob diese Daten jemals gelesen oder gar verwendet werden… im Leben nicht!
So verschiebt sich unsere Ankunftszeit am Zielort Dushanbe Stunde um Stunde weiter. Das wird noch schlimmer, als die Dämmerung hereinbricht und es dunkel wird. Wieder dieser Alptraum, im Dunkeln auf schlechten Landstrassen gemeinsam mit den mehrheitlich lebensmüden tajikischen Verkehrsteilnehmern unterwegs zu sein. Das Glück ist heute allerdings auf unserer Seite: Die eben noch grottenschlechte Strasse wird endlich besser, ist gut geteert und weitgehend frei von Schlaglöchern. Man merkt, dass wir uns der Hauptstadt nähern.
Endlich wird auch der Empfang unseres mobilen Internet-Knotens wieder besser. Carsten hat mittlerweile genug von meiner Playlist, die zuletzt hauptsächlich aus NDW und Techno/Eletro bestand. Ihm zuliebe gibt es auf den letzten Kilometern frisch von spotify gezapftes Rammstein-Gehämmer.
Ein letzter Nervenkitzel noch: Zweimal wollen uns Polizisten herauswinken und anhalten aber Carsten gibt Gas und läßt sie einfach stehen.

Und so kommen wir letztendlich um 22.30 Uhr erschöpft am Zielort Dushanbe an. Wir versuchen noch das Büro der Caritas zu finden, um unsere Ausrüstungsgegenstände wie Zelte und Schlafsäcke zu spenden. Doch leider ist die Adressangabe so schlecht, dass wir das entsprechende Haus nicht finden können. Ok, dann eben morgen.
Die Zielparty mit fünf anderen Teams ist bereits seit 19.00 Uhr – ohne uns – im Gange. Als wir gegen 23.00 Uhr das zentral gelegene Hotel Rohat erreichen, sehen wir die ersten Opfer des Exzesses. Zwei Kölner Rally-Kollegen vom Team Future Sailors sind – schwer vom Vodka gezeichnet – vor unserer Bleibe am Strassenrand gestrandet. Kein Vor und kein Zurück mehr. Ein deutliches Zeichen, dass der Besuch der Party für uns keinen Zweck mehr hat.
Zelebrieren wir unseren Zieleinlauf eben selbst. Dazu gönnen wir uns ein spätes, großartiges Abendessen mit leckerem Salat, Fleisch-Spießen (endlich wieder mal), Brot und Pommes und natürlich Pivo in einem türkischen Restaurant. Zu Mehr reicht es heute aber nicht, die Mannschaft ist platt. Und so landen wir am Ende dieser 25-tägigen Tour und 13.400 Kilometern (ab Bremen) im Sattel gegen 01.00 Uhr morgens in den weichen Betten unserer – erstmals auf dieser Reise luxuriösen – Hotelzimmer.
Keine drei Atemzüge später sinken alle vier Südheid’ler in einen erholsamen ‚Helden‘-Schlaf.

Bonnie&Clyde: They did it! Beide Rallyboliden haben die Strecke weitgehend schadenfrei bewältigt. KLASSE
Stimmung im Team: Kaputt, müde, alle – und ein wenig melancholisch, weil es jetzt zu Ende geht.
Kilometer: 680
Wetter: Warm, warm, warm — und wieder staubig, bis der Arzt kommt

Eine Antwort auf „Tag 25 – Dem Ziel entgegen – Schlußspurt nach Dushanbe“

  1. Hi Südheide Team, da habt ihr aber sehr abenteuerliche Rallye hingelegt, wow. Es ist irgendwie verrückt das Reduzierung auf das Wesentliche und die Anstrengungen bis ans persönliche Limit … zu so einer intensiven Wahrnehmung und wenn es geschafft ist euch so viel reicher gemacht hat, oder. Zumindest hatte ich das immer wieder zwischen den Zeilen wahrgenommen. Bis irgendwann und irgendwo in dieser Welt

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