Tag 24 – Pamir Highway South – entlang der afghanischen Grenze

Es ist EISKALT als wir vor Sonnenaufgang erwachen. Und mir wird schlagartig wieder klar: Wir zelten an der afghanischen Grenze. Das hätte ich vor ein paar Wochen nicht für möglich gehalten. Und anders als man das zu Haus denken mag ist es eine absolutruhige Gegend hier.
Für die meisten von uns war es eine mehr oder weniger bescheidene Nacht, an Schlaf war kaum zu denken. Ohne Luft in der Matte war es ganz schön hart und auch mit Luft zog der Frost von unten an den Schlafsack, der ansonsten tadellos warm hält. Außerdem hat in der Nacht in den Bergen über uns irgendwelches Getier geheult und gejault. Besser nicht weiter drüber nachdenken.

Es gleicht einer Mutprobe, sich bei diesen Temperaturen überhaupt aus dem wärmenden Schlafsack zu schälen. Aber irgendwann muss der Tag für uns ja beginnen. Am besten mit einem heißem Kaffee. Zum Glück hat Markus echten Bohnenkaffee parat. Mit dem Wasser poltern aus dem Kanister aber auch Eisbröckchen in den Topf. Es war RICHTIG kalt heute Nacht. Zähneputzen und Waschen tut heute morgen auch echt weh. Das ändert sich erst ein wenig, als die Sonne mit den ersten Strahlen über den Horizont blinzelt. Da die Halterungen des Dachträgers bei Bonnie nun komplett gebrochen sind, müssen die aufmontierten Reservekanister zur Entlastung geleert werden. Das ist bei dieser Kälte keine witzige Angelegenheit – Carstens Finger sind anschließend steif gefroren. Das Frühstück fällt heute schmal aus, alle wollen nur schnell los und sich mit der Heizung im Auto aufwärmen.

Das passiert dann auch ein paar Minuten später; doch dauert es noch eine halbe Ewigkeit, bis sich wieder ein normales Gefühl von Körperwärme einstellt.

Heute fahren wir den ganzen Tag entlang der Südroute des Pamir-Highway, immer entlang der afghanischen Grenze. Diese Trasse haben die Russen vor Jahrzehnten hier angelegt – und sich anschließend mit den Peschmerga und Taliban um die Vorherrschaft in dieser Region gebalgt. Mit dem bekannten Ausgang einer blutigen Nase für die Sowjets. Heute ist davon nichts mehr zu sehen oder zu spüren. Wir fahren zunächst durch eine auf beiden Seiten der Grenze weitgehend menschenleere Gegend. Erst als sich das Tal öffnet und der Grenzfluß breiter wird, kommen erste Siedlungen in Sicht, die nach und nach größer und ansehnlicher werden. Es gibt hier augenscheinlich genug Wasser und an einigen Stellen ist der Boden wohl recht fruchtbar. Und obwohl wir uns immer noch auf etwas über 3.000 Meter Höhe befinden, kommen in dieser grandiosen Berglandschaft erste Ackerflächen in Sicht.
Auf noch so kleinen Schollen werden hier Getreide und Kartoffeln angebaut – mit Methoden, die bei uns zu Haus vor hundert Jahren aus der Mode gekommen sind. Es wird im wesentlichen alles per Hand erledigt. Wir sehen Frauen, die mit der Hand Kartoffeln roden. Wir sehen Männer, die auf Knien und in der Hocke mit Handsicheln Korn schneiden und zu Garben binden. Wir sehen Familien, die das Korn mit der Hand auf Dreschplätzen dreschen und das gedroschene Korn in die Luft werfen, um Spelzen und Korn voneinander zu trennen. Ganz fortschrittliche Dörfer haben bereits eine Dreschmaschine, die im besten Falle von einem uralten Russen-Schlepper angetrieben wird. Und dazwischen immer wieder kleinere und größere Viehherden, die über die Stoppelfelder ziehen. Vielfach sehen wir Ochsengespanne, die mit Holz-Pflügen den Stoppel umbrechen.
Und obwohl sich das nach Mittelalter anhört, scheinen die Menschen hier aus ihrer Sicht in einem annehmbaren Wohlstand zu leben. Überhaupt, die Menschen hier: Seit wir in dieses Grenztal gekommen sind, hat sich das Antlitz der Bewohner, der Menschenschlag drastisch verändert. Die Menschen hier sehen deutlich europäisch aus, anders in der nördlicheren Gegend um Murgab, wo asiatische Gesichter die Regel waren. Wieder ein Punkt auf der langen Liste der Dinge, die wir auf der Suche nach dem Wieso und Warum nach der Reise recherchieren und nachlesen wollen.
Auch das Bild auf der afghanischen Seite hat sich gewandelt. Mittlerweile sind auch dort erste kleinere Siedlungen aufgetaucht, die den tadschikischen sehr ähnlich aber deutlich kleiner und seltener sind.
Am Nachmittag finden wir die heißen Quellen von Bibi Fatima, die ein paar Kilometer bergauf im Gebirge liegen. Am Ende eines steilen, holprigen Weges erreichen wir ein Badehaus, wo Männlein und Weiblein streng getrennt im heißen Quellwasser baden können. Cord bleibt im Auto, er muss den fehlenden Schlaf der letzten Nacht nachholen. So gehen wir zu dritt in ein etwa vier mal vier Meter großes, knietiefes Becken, das von zwei Quellen mit etwas 35Grad warmem Wasser gespiesen wird. Eine Wohltat nach der Kälte und dem unendlichen Staub. Außer uns sind nur zwei, drei weitere Männer aus der Gegend in diesem Entspannungsbad, das uns zusammen etwa drei Euro Eintritt gekostet hat.
Organisiert und bezahlt ist dieser Bau – wie so vieles anderes hier in der Gegend – von der AgaKhan-Stiftung, einer muslimisch-orientierten Wohlfahrts-Organisation, die vom gleichnamigen, in der Schweiz geborenen Mäzen geführt wird und in vielen Ländern tätig ist.
Nach einem späten und kurzen Mittagessen, es gibt wieder Eintopf mit Fleisch, fahren wir Richtung Ishkashim weiter. Dort wollen wir eigentlich einen Markt auf der Grenzbrücke, die auch von Aga Kahn finanziert ist. Leider sind wir am falschen Tag da, und deshalb geht die Reise gleich weiter. Die Zeit reicht noch, um heute noch Khorog zu erreichen.
Und so sputen wir uns, damit wir noch vor der Dunkelheit diese Stadt erreichen.
Dort angekommen finden wir eine wunderbare B&B-Pension mit Namen ‚MIR‘ – Frieden. Passt zu unserem Reisemotto und ist deshalb doppelt gut. Wir werden von der Familie freundlich empfangen, sie wussten ja bis eben nicht, dass sie noch Gäste bekommen.
Überraschend für uns kocht die Hausherrin für uns noch rasch einen Gemüse-Eintopf mit Fleisch, der wieder einmal lecker schmeckt.
Platt von den Strapazen der Nacht und des Tages fallen die müden Krieger der Südheide schon vor zehn Uhr in die Betten. Nur der Blog muss noch kurz geschrieben werden. Und jetzt: GUTE NACHT, John Boy!

Bonnie&Clyde: Es klappert und röhrt allenthalben – aber die beiden tun zuverlässig ihren Dienst
Stimmung im Team: Etwas müde – und immer wiede überwältig und geflasht von der Landschaft des Pamir
Kilometer: 310
Wetter: Morgend bitterkalt, danach schön warm – und wie immer staubig