Tag 21 – Vom Ende der Welt bis Osh

Ich schreibe diesen Blog in Murgab, Pamir, und es ist Sonntagabend, schon Tag 22. Gestern konnte ich nicht tippen – jetzt habe ich Zeit, die anderen schlafen. Alter Schwede, was liegen da für zwei Tage hinter uns, Mensch und Maschine mussten Alles geben. Der Reihe nach…

Ich erwache schon früh, es war eine besch… Nacht. Kaum ein Auge zu gemacht, denn die selbstaufblasende Isomatte hat nicht mehr geblasen. Irgendein Strunk in der kasachischen Wüste hat ein wüstes Loch in die nun nicht mehr komfortable Schlafunterlage gebohrt. Ich lag in einer Bodenwelle und habe jedes Steinchen unter mir gespürt. Prinzissin auf der Erbse. Carsten geht es genauso.
Der erste müde Blick aus dem Zelt – oh nein, mir fällt wieder ein, was gestern Abend passiert ist: Das Ende der Welt! Erst in einem, sagen wir mal ‚anspruchsvollen‘, Manöver eine baufällige Brücke über den Fluss passiert und dann vor einem metertiefen Abhang gestanden, an dem früher einmal die Buckelpiste ihren kurvigen Verlauf nahm. Ich gehe im wärmenden Morgenlicht noch einmal zu der Stelle, wo der Fluss sich ausgetobt und in den Berg gefressen hat. Hier geht wirklich gar nichts.
Es führt beim besten Willen kein Weg daran vorbei – die lustige Brücke nehmen wir heute gleich noch einmal.
Aber zuvor erstmal Kaffee trinken und die Landschaft genießen. Zwar sind wir nicht dort gelandet, wo wir wollten, aber trotzdem sind wir hier richtig. Um uns herum türmen sich zu beiden Seiten des Flusses mächtige Berge auf, die in der Morensonne in allen erdenklichen Braun-, Gelb-, und Rottönen leuchten. Ganz schön spektakulär, wieder einmal.

Dann den rumpeligen Weg zurück zur lädierten Brücke. Auch bei Tageslicht sieht die Brückenrampe nicht wirklich toll aus. Der Damm ist nicht viel breiter als der Radstand unserer Fahrzeuge; daneben gurgelt uns schon der mit Schmelzwasser gefüllte Fluß an. Mit leichtem Schwung und Augenmaß navigieren Cord und Carsten unsere Fahrzeuge über die kritische Passage. Cord sagt, dass es aufregend war. Will was heißen.
Mittlerweile haben Bonnie und Clyde ihre ersten hör- und sichtbaren Ausfälle. Neben Ausfall Klimaanlage und dem Quietschen im Motorraum (das ich mittlerweile einfch ignoriere) wird die Mängelliste länger. Clyde röhrt inzwischen wie ein mitterschweres Baufahrzeug: Hinter dem Flexrohr hat der Auspuff einen erheblichen Schaden. Bleibt aber so, denn wegen des untergeschweißten, die Ölwanne schützenden Bodenblechs kommt man an das Ding schlecht dran. Man hört Clyde jetzt also immer schon von weitem. Von SEHR weitem. Außerdem hat Clyde beim Brückenmanöver gestern einen Seitenschweller eingebüßt. Der war eh nur Zierde…
Bonnies eingeschweißtes Bodenblech hat sich gestern bei der Fahrt in den Schnee als extrem nützlich erwiesen: Direkt vor der Ölwanne hat es einen kräftigen Einschlag gegeben, den das dicke Blech zum Glück abgefangen hat. Ohne zusätzlichen Schutz wäre das Abenteuer dort zu Ende gewesen. Außerdem ist der werkseitige Träger, der die selbstgebaute Dachbox trägt, an drei von sechs Auflagepunkten gebrochen. Das also war das ständig lauter werdende Quietschen auf dem Dach in den letzten Tagen. Ein als provisorische Ladungssicherung durch den Fahrgastraum gezogener Spanngurt wird unsere Dachbox hoffentlich bis in’s Ziel bringen.
Wieder zurück auf der Strasse geht es Richtung Baetov, der einzigen größeren Ortschaft vor dem 450 Kilometer entfernten Tagesziel Osh. Wir wollen Tanken, doch im gesamten Ort und der Umgebung gibt es keinen Sprit, sagen die Einheimischen. Schöner Mist, aber es muß trotzdem weitergehen. Am Ortsausgang Baetov beginnt die befürchtete Schotterstrecke. Es ist nicht irgendeine Schotterstrecke, es ist die längste, die ich je gesehen habe – und ich kann und will mir auch keine längere vorstellen. Über mehr als 300! Kilometer befahren wir diese Buckelpiste am Stück, die meiste Zeit huckelig, immer staubig. Ein paar in bedauernswertem Zustand befindliche Ortschaften säumen die Piste und man fragt sich, was die Menschen hier hält und wovon sie sich ernähren. Das wird bald klarer, denn immer häufiger sehen wir vielköpfige, zum Teil riesige Schaf- und Ziegenherden, die zumeist von Jugendlichen auf Eseln oder zu Pferd gehütet werden. Wunderschön sind die Bilder, wenn uns die Herden auf der Straße begegnen und uns zum Anhalten zwingen.
In einem der Orte fragen wir einen Trucker nach ‚Bensina‘. Mit seiner Hilfe finden wir einen Ortsansässigen, der bereit ist, uns zu helfen. Er führt uns zu einer herunter gekommenen älteren Frau in einer Seitenstraße, die uns – total vollgedröhnt von Alkohol oder Spritschnuppern oder von beidem – 8 kleine Fünfliterkanister mit Treibstoff verhökert. Beim Geldzählen benötigt sie die Hilfe des Dorfbewohners. Erbarmungswürdige Bilder. Für uns wird der Sprit nun bis Jalal-Abad, der nächsten großen Stadt, reichen. Ungefähr auf der Mitte der Strecke Essen wir in einem kleinen Ort zu Mittag und finden dort tatsächlich auch einen Bankomaten, der uns noch kirgisische Som ausspuckt. Wichtig, denn unsere Taler gehen zur Neige. Am Ort vorbei führt eine neue, noch im Bau befindliche Umgehungsstraße. Ein paar Kilometer sind schon freigegeben und wir sehen eine Armada chinesischer Baumaschinen. Wir ahnen: Auch hier wird ein nächster Abschnitt der ’neuen Seidenstrasse‘ gebaut – vermutlich von China vorbei an Osh bis in das Herz Zentralasiens hinein. Die Chinesen haben wohl einen großen Plan und wir sehen einen kleinen Teil der ‚Execution‘. Wir sind beeindruckt.

Der zweite Abschnitt der Schotter-Orgie hält noch mehr Schaf-, Kuh, und Pferdeherden für uns parat, die auch auf den nun ansteigenden Wegen bis zur heute höchsten Passhöhe von 2.950m zu sehen sind. Immer wieder müssen wir anhalten und warten. Kein Problem, so entstehen tolle Bilder.
Anders drauf sind zwei chinesische Trucks, die irgendwo in der Auffahrt zum Pass plötzlich hinter uns kleben. Als gäbe es kein Morgen drängeln sie hupend erst uns und dann die Tiere von der Strasse. In mörderischem Tempo knallen diese beiden Tanklastzüge die Passstraße hoch und wirbeln Staub auf, der auch Kilometer weiter noch zu sehen ist. Wir bleiben mit einigem Abstand dahinter. Und trotzdem zieht der Staub, den wir auch selbst produzieren, in Massen in jede noch so kleine Ritze. Bäh.
Bergab auf der anderen Seite des Passes ziehen sich die Serpentinen den steilen Abhang das ganze Bergmassiv hinunter. Heute bin ich Beifahrer – und bekomme schwitzende Hände bei dieser Passabfahrt. Den steilen, hunderte Meter tiefen Abhang hinunter zu blicken ist nicht so richtig meins. Unbeschadet kommen wir zum Schluß über Jalal-Abad in Osh an. Von hier aus starten wir morgen in den Pamir. Deshalb noch einmal günstiges Hotel und warmes Abendessen. Unseren Herbergsvater in Osh hätten wir fast nicht gefunden – bis er dann mit Badelatschen über die Kreuzung auf uns zugeschlurft kommt.
Er bringt uns in ein erstaunlich ordentliches Hotel und erzählt uns begeistert von Deutschlad, seine Tochter arbeitet in Frankfurt. Nach einem Besuch des Restaurants um die Ecke wollen wir eigentlich noch in die Karaoke-Bar. Wäre doch schön, wenn Carsten uns was singt. Doch er hat Glück, der Laden taugt gar nichts. Und so gehen wir einigermaßen früh in die frisch bezogenen Betten, um uns einigermaßen ausgeschlafen auf’s Dach der Welt zu begeben. Vorher noch Duschen, der Staub sitzt ÜBERALL.

Bonnie&Clyde: Die ersten Macken und Problemchen werden jetzt unübersehbar
Stimmung im Team: Der Staub schafft uns – die Blicke in die Landschaft entschädigen dafür
Kilometer: 480
Wetter: Stickig im Auto, abends in Osh ok