Tag 12 – Auf nach Sowjetistan, von Quchan zur Hölle von Derweze

Heute morgen sind wir auf Diät. Statt eines umfangreichen Frühstückes gibt es nur vier dünne Fladenbrot vom Strassenbäcker für 20ct auf die Hand. Wir brummen die letzten 85 Kilometer Richtung turkmenischer Grenze und sind fürchterlich gespannt, auf das, was bei der Grenzkontrolle passieren mag. Die vorher noch üppige Landschaft wird öde und menschenleer. In den Taschen haben wir immer noch einiges von dem bald 20cm dicken Bündel iranischer Geldscheine, die wir bei der Einreise getauscht hatten. Den daumendicken Stapel wollen wir im Grenzort in Benzin tauschen und unsere Tanks und Kanister füllen. Doch statt einer Tankstelle finden wir einen Ladenbesitzer, dessen Frau uns nacheinander mehrere Plastikkanister mit dem begehrten Treibstoff herbeischleppt. Über einen mit dem Mund angesaugten Schlach läuft das Sprit nach und nach in unsere Tanks. Auch wenn es hier an der Grenze verhältnismäßig teuer ist, sind wir mit den knapp 50ct pro Liter super glücklich.

An der Grenze ist es irgendwie unheimlich. Ein riesiger, neuer, Gebäudekomplex erwartet uns – wir aber sind die einzigen ‚Kunden‘, niemand anders ist hier. Es soll uns wieder ein Agent von Hussein erwarten, doch außer ein paar Arbeitern ist keine Menschenseele zu sehen. Nachdem wir verwinkelte Treppenhäuser erkundet und verschiedene Türen geöffnet haben, finden wir den Agenten in einer menschenleeren Wartehalle. Er nimmt unsere Papiere – und verschwindet erst einmal. Mit der Zeit bekommen wir mit, dass in den verschiedenene Büros doch iranische Beamte sitzen und irgendwie wichtige Dinge erledigen. Nur wozu? Wir sind und bleiben die Einzigen, die hier an diesem Morgen in dieser riesigen, modernen Anlage abgefertigt werden.

Sehr freundlich werden wir dann von jungen iranischen Rekruten verabschiedet und nähern uns der turkmenischen Seite. Um das Visum, das jetzt zum Einsatz kommen soll, haben wir sooo lange gebangt. Schon bei ersten Kontakt mit den Grenzern spürt man, dass etwas anders ist. Zum einen sind die Grenzer deutlich distanzierter und verbissener. Zum anderen unterscheidet sich der Menschenschlag deutlich von den Iraner – viel Asiatischer.
Was nun folgt ist eine unfassbare Prozedur von Befragungen, Untersuchungen, Formblättern, Stempeln und Gebühren. So etwas habe ich noch nicht erlebt und ist schwer in passende Worte zu kleiden. Es war nicht bedrohlich; eher albern – das passt vielleicht am besten. Ein paar Highlights: Wir mussten zum Amtsarzt, der die Fingernägel kontrolliert und mit einem unfassbaren Gerät die Körpertemperatur an der Stirn gemessen hat. Ein junger Grenzbeamter wurde von seinem Vorgesetzten dazu genötigt, einen handschriftlichen Roman über die Tajik Rally zu verfassen. Der Vetererän fragte uns nach Hunden und Katzen – um uns dann stolz seinen deutschen Wortschatz, die Zahlen eins bis zehn, Mittagessen und zwei Kinderreime, vorzuführen. Beim ‚Beamten für Zusammenrechnung der Gebüren‘ bekommen wir die Rechnung präsentiert. Die verschlägt uns die Sprache – eigentlich hatten wir 70$ pro Auto erwartet. Allerdings überrascht er uns auch, in dem er uns Zigaretten anbietet. Dabei ist Rauchen in der Öffentlichkeit in diesem Polizeistaat streng verboten. Rauchend teilt er uns mit, dass wir 256$ für die Einreise zahlen müssen. Großes Problem, wir haben nur noch 160$. Die herbeigerufene Frau von der Bank, die uns zum Start der Prozedur schon je 10$ ‚keine-Ahnung-Wofür‘-Gebühr abgeknöpft hat, macht ein furchtbar erschrockenes Gesicht. Dabei hatte ich ihr schon erzählt, wie viele $ wir haben. Wir verhandeln – haben aber keinen Erfolg. Sie nimmt mich an die Hand und erzählt mir draußen, hinter einer Mauer, dass sie mich ohne Stempel zurück in das iranische Grenzgebäude bringen könne, wo es Dollar zu tauschen gäbe. Darf nur der Polizeichef nicht sehen. Hier bekomme ich zum ersten Mal kalte Füße. Dann der rettende Einfall: Eine Reisegruppe steht in der Grenzkontrolle – vielleicht kann ich da Euro in Dollar tauschen. Und tatsächlich klappt das – oha, Glück gehabt. Wir fühlen uns zwar ungeheuer abgzogen, zahlen aber brav die geforderte Summe. Jetzt sind auch alle richtig freundlich. Bei der letzten Stempel-/Kontroll-Station wird, erstmals auf der Reise, unser gesamtes Gepäck kontrolliert – und wir bekommen als Krönung noch einen GPS-Peilsender in unsere Autos. Junge, junge, die wollen es wirklich wissen.

Dann sind wir entlassen und dürfen tatsächlich einreisen. Sowjetistan, die ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken, stehen uns nun tatsächlich offen. Die Hauptstadt Ashgabat, eine Retortenstadt voller Pomp und Protz, durchfahren wir nur kurz, um lokale Währung zu besorgen. Schließlich wollen wir noch nach Derweze – dem Tor zur Hölle. Auf dem Weg dorthin müssen wir durch die Wüste. In endloser Länge zieht sich die schnurgerade Straße, die besser ist als erwartet, bis zum Horizont. Nur wenige Autos sind hier unterwegs und wir sehen die ersten Kamele. Nein, Dromedare.
In einem kleinen Nest mitten im Nichts, in einem unscheinbaren Laden, kaufen wir noch Proviant: Bier, Vodka und frisch zubereitete gefüllte Teigtaschen. Grillwurst gibt es leider nicht. Die Frauen des Dorfes, die in bunte Kleider gehüllt, gerade mit Backen und Kochen beschäftigt sind, wollen sich erst nicht fotografieren lassen. Mit dem Bilderrahmen klappt es dann doch noch.

Aus dem Radio schallt passend ‚The Dark Side‘, als wir im Sonnenuntergang Derweze erreichen. Hier, ‚in the middle of nowhere‘, liegt ein offener Gaskrater, ‚door to hell‘, der seit Jahrzehnten, seit 1971, brennt. Schon von weitem sehen wir den roten Lichtschein im schwindenden Licht. Wir sind nicht allein, Jurten und Zeltcamps zeugen von der Attraktivität dieses Ortes. Der Krater ist in der Tat spektakulär: In dem kreisrundes Schlund von vielleicht 70 Metern Durchmesser lodern hunderte kleinerer und größerer Feuer, die vom nachströmenden Gas gespiesen werden. Stickige Schwaden der Abluft werden vom Wind in die umgebende Wüste getragen. Gebannt schauen wir diesem wundersamen Schauspiel eine Weile zu. Umgeben von der Wüste bauen wir unser kleines Zeltlager etwas Abseits im Windschatten der Fahrzeuge auf, denn der böige Wind wirbelt Sand und Staub durch die Gegend.
Seit gestern Abend gab es nichts mehr zu Essen. Umso größer ist der Appetit, als Carsten die Nachmittags erstandenen Piroggen, Brot und Wurst auspackt. Dazu gibt es leckeres Pivo aus großen Plastikkannen und – standesgemäß – eine Flasche Vodka. Es badarf einiger Überredung, um auch Carsten die Vorzüge des Kartoffelschnapses näher zu bringen. 🙂
Nachts treffen wir dann noch die Plötzhansel und ‚brothes on tour‘, zwei Teams die genau wie wir die spektakuläre Südroute der Rally fahren und den Abstecher hierher nach Derweze für unumgänglich halten.

Wir sabbeln noch bis spät in die Nacht, bevor wir in den mittlerweile umfänglich verstaubten Zelten zur Ruhe kommen.

Bonnie&Clyde: Im Motorraum von Bonnie quietsch es – egal, sagt Carsten
Stimmung im Team: Angespannt an der Grenze zu Turkmenistan, Freude auf Derweze
Kilometer: 410
Wetter: Sonnig, gar nicht mal zu heiß in der Wüste, aber Staub, Staub, Staub