Tag 8: Von Martuni nach Agarak, Rallye-Mode: ON

Heute ist einer dieser Tage, die eine solche Reise ausmachen. Dazu gleich mehr.

Der Tag beginnt – ohne Frühstück. Unsere Herbergsmutter hatte sich geweigert, vor 10.00 Uhr Frühstück zu machen. Naja, auf dem Weg wird sich schon etwas finden. Unser Weg führt zunächst weg vom Sewansee hinein in die weite Gebirgswelt Armeniens. Wow, Landschaft haben sie hier mehr als reichlich. Das Land ist sehr dünn besiedelt und wenn überhaupt, dann extensiv landwirtschaftlich genutzt. Nur ab und zu sieht man einen Hirten mit einer Herde Kühe über die sanften, eher versteppten Hügel ziehen.
In einer der nächsten Ortschaften finden wir eine kleine Frühstücksbodega. Der jugendliche Schankwirt serviert extrem leckere, mit Kartoschka gefüllt Teigtaschen, dazu ‚leicht‘ gezuckerten Kaffee. Brrrrrrr. Jetzt, mit wieder aufgefülltem Koffeinspiegel, kann die Reise weitergehen, weiter immer weiter durch die schier endlose Landschaft Zentralarmeniens. Mir kommt wieder das Zitat des saarländischen Dachdeckers in den Sinne, das da heißt ‚vorwärts immer, rückwärts nimmer‘. 🙂
Hinter der nächsten Kurve schmiegt sich die holperige Landstrasse schnurgerade bis an den Horizont in die sanften Hügel. Es ist wirklich atemberaubend schön hier oben. Im nächsten Moment kreutz eine Herde Kühe die Strasse und zwingt uns zum Anhalten. Kaum ausgestiegen steht der Hirte, eher ein Cowboy in kunstvoll gefertigten Pantoffeln, auf dem Pferd neben uns. Die angebotene Zigarette nimmt er gern und läßt im Gegenzug Josch auf seine gutmütige Stute aufsitzen. Wunderbare Bilder, der Bilderrahmen erfüllt seinen Zweck.
Heute soll es noch bis Agarak gehen, direkt an die iranische Grenze. Dort wollen wir morgen früh Hussein treffen, der uns bei der aufwändigen Grenzprozedur unterstützen wird. Wir liegen so gut in der Zeit, dass wir eine ausgiebige Mittagspause in Goris einschieben. In einer kleinen Grillstation bekommen wir ein herrliches Kebab mit Brot, Salat und Kartoffeln. Wir pumpen einen der vielen mitgebrachten Fußbälle auf und machen damit die Kinder der Köchin glücklich. Carsten ist satt und glücklichm, die Reise kann weitergehen. Bis jetzt sind wir in Armenien die ‚roten‘ Strassen gefahren; Zeit das zu ändern. Wir suchen uns in der Karte eine schicke gelbe Piste aus und stechen westwärts in die Berge. Rallye-Mode: ON. Schon nach wenigen hundert Metern werden wir durch eine fiese Buckelpiste belohnt. Strasse? Nein, so kann man das, was vor uns liegt, nicht bezeichnen. Löcheriger Feldweg passt eher. Jetzt müssen die Autos zeigen, was sie können. Mehrfach knallt es laut, wenn Carsten mit dem Blech, das Cord zur Sicherung der Ölwann unter die Autos geschraubt hat, auf Felsbrocken trifft. Bei Cord und Josch läuft ‚Riders on the Storm‘ in voller Lautstärke. Ach was ist das schön.

Über gefühlt ein paar Stunden zieht sich die Offroad-Strecke durch die Berge, bis wir wieder ‚festen‘ Boden unter den Füßen haben. Vor uns erscheinen plötzlich zwei Radfahrer, Deutsche, wie sich herausstellt. Wir fahren neben den beiden 21zig jährigen Jungs her und erfahren, dass sie unterwegs nach Teheran sind. Zähe Burschen! Beide waren im letzten Jahr auf dem Pamir-Highway – auch mit dem Fahrrad. Mehr als nur ‚RESPEKT‘. Sie erzählen, dass sie gerade unterwegs sind zur weltweit längsten Seilbahn, vier Kilometer voraus. Da wären wir glatt dran vorbeigefahren. So aber nehmen wir dieses Highlight gern mit und bestaunen die 10 Kilometer lange Kabelbahn. Die Radler kommen kurze Zeit nach uns an und wir kommen mit den beiden Helden ins Gespräch. Wirklich tolle Typen. Gestern, während des Gewitters, haben sie Todesängste ausgestanden. Sie zelteten neben einem Hochspannungsmast, in den laufend die Blitze einschlugen. Wir hatten glücklicherweise ein Dach über dem Kopf.
Als wir weiterfahren wechselt die Strasse schnell wieder ihr Gesicht. Auf perfekt geteerte Landstrasse folg eine hammermäßiges Schlagloch-Festival. Cord ist ‚im flow‘ und läßt die Zügel bei Clyde locker. Der Wagen fegt wie ein blauer Blitz in einer großen Staubwolke über diese anspruchsvolle Strecke. Carsten kommt kaum hinterher.
Um ihn wieder aufschließen zu lassen, hält Cord im Nirgendwo an einer kleinen Bude an. Und hier zeigt die Rallye ihr wahres Gesicht: Erst kommt ein Dorfbewohner, dann der zweite und der dritte. Wir bekommen vom Ladenbesitzer ein Bier in die Hand gedrückt, revanchieren uns mit mitgebrachten Cohibas. Schnell kommt ein lustiges Gespräch zustande, das wir mit Händen und Füßen und mit den paar Brocken Russisch führen, die ich noch aus dem Studium parat habe. Spätestens als einer unserer neuen Freunde den Slogan ‚Druschba e Mir‘- Frieden und Freundschaft – auf unserem Auto liest, ist das Eis mehr als gebrochen. Wir sind jeder auf seine Art voneinander begeistert. Nachdem wir gegenseitig unsere ‚Maschinas‘, Autos, bestaunt haben, lädt uns der Ladenbesitzer zu sich nach Haus, gegenüber vom Laden, zum Kaffee ein. Von wegen Kaffee: Seine Frau tischt auf, was die Küche zu bieten hat. Erst gibt es für die Beifahrer 70%igen Vodka, der sich brennend seinen Weg in die Magengegend sucht. Danach gibt es zum Kaffee frisches Brot, das mit selbstgemachtem Käse, Pellkartoffeln und Peperoni gefüllt wird. Danach kommen noch Gurken, dann Frischkäse und Butter auf den Tisch. Und obwohl Josch und ich deutlich ablehnen, werden die Gläser wieder und wieder mit dem gleichwohl leckern wie teuflischen Vodka gefüllt. Dabei gehen die Hand-/Fuß-/Brockenrussisch-Gespräche mit Druum, Jerba und Stipan, so heißen der Gastgeber und seine beiden Freunde, weiter.
Was für eine Gastfreundschaft, wir können uns kaum von einander trennen. Diese Menschen hier oben leben in sehr ärmlichen Verhältnissen – und doch teilen sie alles und man sieht ihnen an, wie glücklich sie das macht. Das zu erleben, DAS ist das Herz dieser Rallye.

Beseelt von dieser außergewöhnlichen Begegnung setzen wir unseren Weg fort. Während Carsten und Cord weiter Serpentinen bezwingen müssen Josch und ich satt und reichlich duselig im Kopp erstmal die Augen zumachen. Die letzten hundert Kilometer bis zur Grenze geht es durch immer schrofferes Felsengebirge. Über den letzten Pass auf über 2.500 Metern Höhe geht es dann hinunter zur iranischen Grenze. Nach einem Blick auf die Grenzanlagen, die wir morgen passieren müssen, suchen wir uns eine Hererge für die Nacht. Wir trinken vor der Tür noch die letzen Alkoholreserven, denn im Iran gilt absolutes Alkoholverbot. Und obwohl wir verschließbare Tarnkanister mitgebracht haben, wollen wir nichts riskieren. Ich schreibe noch schnell diese Zeilen auf, dann heisst es um 01.00 Uhr ‚Licht aus‘.

Bonnie&Clyde: Bonnie hat eine Schraube locker, der Dachgepäckträger klappert
Stimmung im Team: Das Beste, was auf einer Rallye passieren kann…
Kilometer: 350
Wetter: Wir haben die Wolken scheinbar hinter uns gelassen

Tag 7 – Von Tiflis nach Martuni; Crewchange

Heute ist Crew-Change und der Tag beginnt gemächlich. Entgegen der Ankündigung gibt es im Hotel kein Frühstück. Blöd! Zum Glück hat Cord schon mal den ersten Kaffee von der Strasse besorgt.
Im Frühstücks-Cafe, das wir dann aufsuchen, ist Schmalhans Küchenmeister. Ein Croissant, ein Kaffee, fertig.
Viel mehr Glück haben wir, als wir zu der Unterkunft fahren, in der Josch heute Nacht nach seinem Flug über Warschau untergekommen ist. Fabrika Tblisi – eine echte Empfehlung für jeden Reisenden – ist ein Hostel, das in einer ehemaligen Fabrik recht zentral in der Innenstadt liegt. Das typische junge Backpacker-Klientel prägt hier das Bild. Während wir darauf warten, das Josch ausgeschlafen ist, nehmen wir hier das zweite Frühstück. Es gibt eine riesige Auswahl lokaler und internationaler Leckereien vom Buffet.
Und dann kommt ein sehr entscheidender Moment – wir halten endlich unsere Reisepässe mit den sooo wichtigen Visa in der Hand. Was ich mich vorher hier im Blog nicht zu schreiben traute: Die Beantragung und Ausstellung der Visa für den Iran, Turkmenistan und Usbekistan war eine auf Kante genähte Geschichte, die bis zum letzten Moment spannend war. Ich hatte den Visumprozess recht spät begonnen und durch Urlaubszeit und die muslimischen Feiertage in den Botschaften dauert das Ganze viel länger, als gedacht. Zu lange: Statt zum Start der Reise wurden die Visa erst am 07.September fertig. Just in time – danke Josch, dass Du die Dokumente aus Berlin abgeholt hast! Wenn das nicht geklappt hätte, dann wäre mein Heimweg auf andere Weise fällig gewesen: Cord hätte mich mit dem Bobby-Car hinter dem Auto hergezogen.
Ach ja – Crewchange: Heute steigt Stefan aus und Josch steigt, gerade in Tiflis angekommen, ein. Stefan, der die erste Woche der Rallye mitgemacht hat, nimmt noch ein heiße Nacht im In-Viertel mit, bevor ihn der Flieger in aller Herrgottsfrühe gen Heimat bringt. Kopf hoch, Bruder!

Und weiter geht’s, gegen Mittag raus aus der Hauptstadt durch den Süden Georgiens gen Armenien. Wir passieren eine eher unwirtliche Gegend, die ihre Bewohner mehr schlecht als recht zu ernähren scheint. Vor der armenischen Grenze kommen wir an Duzenden Strassenhändlern vorbei, die ausschließlich Waschmittel in großer Zahl und Menge feilbieten. Ob der Armenier ein Reinigungsproblem hat?
Die Grenzüberquerung ist diesmal etwas aufwändiger. Die Ausreise aus Georgien geht noch relativ fix. Für die folgende Einreise nach Armenien müssen dann eine Reihe von Formalitäten erledigt werden. Nachdem Fahrer und Beifahrer von einander getrennt werden, werden zunächst die Fahrzeuge kontrolliert. Anschließend müssen wir für die Fahrzeuge eine Ökosteuer entrichten, um danach die Zollpapiere ausstellen zu lassen. Die uniformierte junge Zollbeamtin ist nicht nur hübsch, sie spricht erstaunlicherweise auch noch perfekt Deutsch. Zuletzt müssen wir noch eine zusätzliche Versicherung für Bonnie und Clyde abschließen. Der Versicherungsvertreter, im Hauptberuf anscheinend Ziegenhirte, erklärt uns dann ulkigerweise, dass Werder Bremen vor 15 Jahren deutscher Meister war.

In Armenien ändert sich dann das Landschaftsbild dann schlagartig, als wir entlang der aserbaidschanischen Grenze die Höhenzüge des Kleinen Kaukasus erklimmen. In einer kleinen Grillstube am Strassenrand bekommen wir herrlich leckeres Kebab, das in dünnes Brot gewickelt ist. Ein paar junge Armenier interessieren sich für uns und unsere Reise. Auf den selbstgebauten Dachträgern unserer Boliden prangen die Nationaflaggen sämtlicher Länder, die wir durchreisen. Stein des Anstoßes für die jungen Männer sind die Flaggen von Aserbaidschan und der Türkei. ‚Nix gut, nix gut‘ geben sie uns zu verstehen und entfernen die Aufkleber mit Gejohle. Man bekommt einen Eindruck davon, welcher Zündstoff hier im südlichen Kaukasus unter der Oberfläche verborgen liegt. Auf der Karte erkennen wir die umstrittenen autonomen Regionen Berg-Karabach und Nagorni-Karabach rechts und links unserer Strecke am Horizont.

Als dann die Dämmerung hereinbricht und die Strasse eher einer Buckelpiste gleicht, ist es wieder soweit: Die Gewitterzelle hat uns erneut eingeholt. Diesmal ist es richtig heftig: Zu dem schweren Regenschauer gesellt sich heftiger Hagel, der als dicke Schicht auf der Piste liegen bleibt. Der Verkehr kommt stellenweise zum Erliegen; und doch gibt es immer noch Verrückte, die in halsbrecherischer Weise die Gegenfahrbahn zum Überholen nutzen. Eigentlich wollten wir heute am See unser Zelt aufschlagen, was jedoch buchstäblich in’s Wasser fällt. Nagut, dann machen wir noch ein paar Kilometer und suchen uns dann ein Hotel. Da unser mobiler Internet-Zugang hier in Armenien leider nicht funktioniert, müssen wir die Unterkunft auf traditionelle Weise suchen. Im Ort Martuni, der auf der Landkarte einigermaßen groß ausschaut, versuchen wir unser Glück. In einem Restaurant erklärt man uns den Weg zum Hotel. Dort angekommen stehen wir vor einem fünfstöckigen Wrack das vollständig unbeleuchtet ist. Mit der Taschenlampe des Handys finde ich einen Eingang. In einer kleinen Bude sitzt ein alter Mann hinter einer Kerze in der sonst finsteren Lobby. Er bedeutet mir, dass er in einer Viertelstunde herrichten könne. Der Laden ist aber so abgeschmackt, dass ich lieber den Rückzug antrete. Nach einer weiteren Weile des Umherirrens werden wir gegen 21:00 Uhr doch noch fündig. Eine kleine Bodega bietet uns zwei erstaunlich charmante Zimmer für zusammen 25€ an.
Da es noch früh und der Weinschlauch noch gut gefüllt ist, setzen wir uns bei guter Musik aus Clyds Boxen noch ‚auf ein Glas‘ zusammen.
Mit genügend Rotwein im Magen und Bettschwere in den Gliedern heißt es gegen Mitternacht ‚Licht aus‘.

Bonnie&Clyde: Treue Begleiter auch im schlimmsten Hagelsturm
Stimmung im Team: Einer muss heute nach Haus, schade
Kilometer: 350
Wetter: Tagsüber warm, über den Rest reden wir nicht…

Tag 6 – Höllenritt von Ünye nach Tiflis

Heute wird es taff – stellt sich hinterher heraus. Stefan ist schon früh aus den Federn. Strandspeziergang und ein kurzes Bad im recht warmen Schwarzen Meer. Leider ist der Strand hier sehr vermüllt; es ist gut zu erkennen, dass die Welt auch hier ein echtes Plastik-Problem hat. Und da wundert sich unser Herbergsvater, erstaunlicherweise Deutschlehrer von Beruf, dass der Touristenstrm versiegt. Vor dem Frühstück fällt mir auf, dass mein Kulturbeutel in Istanbul verblieben ist. Ok, die Sache mit dem Rasieren hat sich damit vorerst erledigt (sorry, Andrea 🙂 ).
Nach dem Frühstück erfolgt die obligatorische Wolke – Wasser, Öl, Luft, Kühlwasser, Elekrik prüfen. Bonnie und Clyde haben Öldurst, ansonsten geht es beiden prächtig.
Die Strecke an der Küste entlang führt durch schier endlose Haselnuss-Plantagen. An Trabzon vorbei geht es dann mit Warp 2 Richtung Grenze. Geschwindigkeitsbegrenzungen werden hier mehr als lose Empfehlungen interpretiert. Der durchschnittliche Verkehrsteilnehmer multipliziert diese Empfehlung in der Regel mit zwei. Die in größerer Zahl am Strassenrand postierten Peterwagen-Besatzungen kratzt das wenig. Lustig sind auch die aus Pappmache gefertigten Polizeiwagen-Attrappen am Strassenrand. Anders als am Tag zuvor sehen wir allerdings keine Verkehrsunfälle. Tags zuvor passierten wir in kurzer Zeit mehrere zum Teil schwere Unfälle.
Kurz nach Mittag stehen wir dann schon vor der türkisch-georgischen Grenze. Ein mehrere Kilometer langer LKW-Stau läßt uns Schlimmes befürchten. Doch wir kommen rasch daran vorbei und glücklicherweise ist die PKW-Schlange nur zwei Duzend Fahrzeuge lang. Trotzdem dauert die Abfertigung, die am Ende problemlos erfolgt, doch knappe zwei Stunden. Carsten und Stefan müssen als Beifahrer zu Fuss über die Grenze. In der Autoschlange werden wir gleich von mehreren Deutsch-sprechenden Türken und Georgiern angesprochen. Unser Slogan ‚Friedens- und Freundschafts-Rally‘, den wir in mehreren Sprachen an der Autoscheibe kleben haben, verfängt auch hier wieder.
Witzig ist auch der Grenzbeamte, der uns in die Schlange einweist. Er spricht perfekt Deutsch, hat lange in Bremen gelebt und ist Werder-Fan. Ein Stück Heimatgefühl am hinteren Ende des Schwarzen Meeres.
Die ersten Eindrücke von Georgien hinter der Grenze sind eher gruselig. Heruntergekommene Wohnblocks und schlechte Strassen prägen das Bild. Und die Verkehrslage ändert sich schlagartig. Verkehrsregeln gibt es hier scheinbar nicht, es gilt das Recht des Stärkeren. Den meisten Autos sieht man das rowdyhafte Verhalten ihrer Fahrzeugführer schon von weitem an. Selbst Fußgänger und freilaufende Kühe legen eine todesmutige Kompromisslosigkeit an den Tag.
Die unvermeidliche Gewitterzelle zwingt uns, den einfacheren Weg nach Tiflis einzuschlagen. Die von Cord schon einmal befahreren Bergpiste muss heute ohne uns auskommen.
Später zeigt sich, wie vernünftig diese Entscheidung war. In den Bergen, durch die sich die Überlandstrasse schlängelt, geht wieder ein sturzbachartiger Regenguß über uns hinweg. Obwohl es mittlerweile dunkel geworden ist, überholen Autos und LKW mit halsbrecherischen Manövern jene Verkehrsteilnehmer, die in angemessener Geschwindigkeit unterwegs sind. Mehr als einmal wundern wir uns, dass es hier nicht ständig kracht.
Kriegsrat um kurz vor neun: Die Mägen knurren – das Frühstück war die letzte echte Mahlzeit – und Müdigkeit macht sich breit. An Zelten ist nicht zu denken und Hotels sind hier oben auch eher Mangelware. Cord versucht in einem Imbiss nach Übernachtung zu fragen. Mit großen Kulleraugen kommt er zurück: Eine der Damen im Shop trägt stolz ein T-Shirt mit einem großen Konterfei von Adi Schicklgruber. Unfassbar!
Wir beschließen, nun doch bis Tiflis zu fahren. Kurz vor Mitternacht kommen wir in den Vororten der Hauptstadt an. Cord ist zufrieden, das Tagesziel ist erreicht. Trotz fehlender Internet-Verbindung – hier in Georgien tut unser Skyroam seinen gewohnten Dienst nicht – finden wir ein Hotel. Zur Vorbereitung der Nachtruhe gibt es noch drei Becher Wein aus dem mitgeführten Vorrat.
Gegen 01.00 Uhr kehrt Ruhe im viel zu luxeriösen Vierbettzimmer ein. Ich habe Glück: Hier gibt es Zahnbürste, Kamm, Seife und Shampoo – meine neue provisorische Waschtasche ist wieder mit dem Mindesten gefüllt.

Bonnie&Clyde: Bei Regen laufen die beiden prächtig
Stimmung im Team: Platt wie’n Puffer
Kilometer: 810
Wetter: Es ging wieder nicht ohne Regen

Tag 5 – Von Istanbul bis Ünye

Istanbul – eine tolle Stadt. Der Tag beginnt heute mit einem ausgiebigen Frühstück auf der auslandenden Dachterrasse mit Blick über das Meer/den Bosporus auf der einen und die Blaue Moschee auf der anderen Seite. Der Regen hat aufgehört und die Sonne blinzelt uns durch die davon ziehenden Wolken an. Was für ein herrlicher Tagesbeginn. Unser Weg führt uns heute die türkische Schwarzmeerküste entlang. Doch ersteinmal müssen wir aus der Megacity heraus. Den Bosporus überqueren wir heute mit der großen Brücke. Der Blick auf die Meerenge zur Seite und zurück auf die Altstadt mit den Moscheen ist herrlich. Grund genug für ein Fotoshooting während der Fahrt: Clyde auf der Brücke vor der Altstadtkulisse; sehr schön.
Die Strecke bis Samsun ist eher langweilig, wir fahren auf einer perfekt ausgebauten dreispurigen Autobahn. Bis zum Stadtrand von Istanbul sehen wir unzählige Großbaustellen, wo neue Wolkenkratzer gen Himmel wachsen. Man bekommt einen Eindruck davon, dass die Stadt eine echte BoomTown ist.

Unterwegs halten wir an einer Autobahnraststätte, wir haben jetzt über 3.500 Kilometer auf der Uhr. Die hat es aber in sich. Neben der auch in der Heimat üblichen Tank- und Rast-Ausstattung verfügt diese Perle noch über einen Lebensmittelbasar, in dem es reichlich regionale Leckereien zu schauen und zu kaufen gibt. Cord hat Lira am Start und so können wir ein paar Tüten kandierte Trockenfrüchte, verschiedene Sorten Nüsse und frisches Obst erstehen. Optimale Autofahrer-Ernährung.

Zielsicher haben wir vor Samsun die gestrige Gewitterzelle wieder eingeholt. Es schüttet wie aus Eimern. Das Fahren durch die glitschigen Spurrillen wird jetzt richtig anstrengend. Zwei-, dreimal schwimmen Bonnie und Clyde durch Aquaplaning auf. So richtig heftig wird es dann auf der Küstenstrasse hinter Samsun. Dort, wo die Strasse etwas tiefer liegt, haben sich riesige Seen gebildet, die bei dem Regen von weitem nicht auszumachen sind. Bei jedem Durchfahren spritzen rechts und links die Fontänen beängstigend hoch. Mit dem Glück der tüchtigen kommen wir gegen 21:00 Uhr in dem kleinen Touristenort Ünye an. Und wieder muß ein kleines Hostel als Übernachtung dienen. Die Gewitterzelle ist einfach ein zu großer ‚Bangemacher‘.
Wir landen in einem Haus, dass – von außen betrachtet – die besten Tage schon hinter sich hat. Die drei jungen Strategen, die uns in Empfang nehmen, haben so richtig gar keine Ahnung. Naja, Hauptsache ein Dach über dem Kopf. Unser ‚Familienzimmer‘ ist dann eine sehr angenehme Überraschung. Sauber und ordentlich mit Blick auf’s Meer. Ja, richtig gelesen. Und in den 60€ für alle Vier ist sogar Frühstück dabei. Türkei, was bis Du günstig.
Vor dem Schlafen gehen reicht die Zeit sogar noch für ein üppiges Abendessen im Restaurant um die Ecke. Gleich am Eingang werden wir auf Deutsch angesprochen. Zwei Türken aus Hamburg machen hier Urlaub und haben direkt den Teutonen in uns erkannt. Wir schnacken ein wenig und die Jungs bestellen für uns aus der für uns unverständlichen Karte. Das Restaurant ist voller Locals, kein Touri verirrt sich hierher. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre und wir genießen das freundlich servierte Essen. Nur eines gibt es nicht: Efes. In diesem Teil der Türkei ist der Ausschank von Alkohol zwar nicht verboten, aber nur wenigen Bars unter Auflagen erlaubt. Der hausgemachte Zitronensprudel schmeckt aber vorzüglich. Und wieder kostet die ganze Sause unfassbar wenig.
Vor der Bettruhe nehmen wir noch zwei Becher Rotwein. Bis zur iranischen Grenze muss der an Bord befindliche Alkohol ausgetrunken sein.

Schon vor Mitternacht heißt es dann: „Gute Ruh'“
Das Rauschen der Wellen wiegt uns durch das offene Fenster rasch in den Schlaf.

Bonnie&Clyde: Alles tutti, beide haben morgens lecker Öl bekommen
Stimmung im Team: prima, vielleicht ein wenig erschöpft.
Kilometer: 850
Wetter: Nase voll vom Regen

Tag 4 – Von Pitesti nach Istanbul

Warm und laut war die Nacht. Draußen brummen schon in Allerhergottsfrühe die ersten tonnenschweren LKW vorbei. Dafür hat Irina anständiges Frühstück gemacht. Duschen, Packen und los! Heute wird die Strecke eher langweilig sein. Wir wollen Rumänien verlassen, Bulgarien durchqueren, ein klitzekleines Stück Griechenland mitnehmen und dann in die Türkei einreisen. Stefan ist ein wenig bange – wir haben zolltechnisch-theoretisch etwas zuviel Rotwein an Bord. Papperlapapp…
An der bulgarischen Grenze treffen wir unsere Harzer Stammesgenossen wieder. Paule hat das mit der Maut nicht verstanden und fährt zwischen Rumänien und Bulgarien hin und her. Kleiner Grenzverkehr sozusagen.

Heute führend Cord und Carsten mit Clyde unsere kleine Kolonne an. Statt elektronischer Hilfsmittel nutzen sie standesgemäß eine alte ADAC-Karte zur Navigation. Ebenso standesgemäß landen wir auf diese Weise zuverlässig im Berufsverkehr von Bukarest. Wer fährt schon gern den kurzen Weg über die bequeme Umgehungsstrasse… ? 🙂
Knapp eineinhalb Stunden später sind wir auf der Strasse Richtung Edirne, türkische Grenze. Die weitgehend trostlose Landschaft Bulgariens zieht an uns vorbei. Am späten Nachmittag knurren die Mägen so sehr, dass wir noch einen Zwischenstopp in einer Kleinstadt einlegen. Hier ist der Ostblock noch Ostblock. In einem spartanisch ausgestatteten Restaurant in der Innenstadt, in der eine lustlose Bedienung uninteressiert ihren Job erledigt, strecken wir unsere müden Knochen aus. Cord und Carsten nehmen Schweinesteak mit gelbem Käse. Vielleicht war das aber doch Nachbars Katze — Cord hat den Rest des Tages Magendrücken.
Später an der türkischen Grenze dann die Überraschung. Statt langer Warteschlangen können wir direkt in die Grenzkontrolle fahren. Und erfreulicherweise treffen wir auf sehr freundliche Grenzer. Ein Blick auf unseren Rotwein, einmal an der Kiste Cohibas riechen – das war’s, gute Reise. Den kurzen Umweg über Griechenland haben wir uns auch geschenkt; und so sieht es danach aus, dass wir gegen 20:00 Uhr Istanbul erreichen sollen. Die Szenerie ändert sich nach der Grenze völlig. Statt trotzloser Einöde sehen wir hier in der West-Türkei perfekt ausgebaute Strassen, ordentlich bewirtschaftete Felder und große Industriegebiete. Was für ein Kontrast zu Bulgarien. Mittlerweile haben wir – von Bremen aus – über 3.000 Kilometer hinter uns.
Unterwegs buchen wir noch rasch ein Hostel für kleines Geld im Herzen von Istanbul, das Agora Guesthouse (Stefan, für Dich aufgeschrieben). Der Weg dorthin wird zum Schluß noch sehr beschwerlich: Ein Megastau in der Megacity hält uns eine gute Stunde auf. Gegen 21:00 Uhr stehen wir dann mit den Autos in den winzigen Gässchen der Altstadt direkt unterhalb der Blauen Moschee. Es gibt sogar zwei Parkplätze für uns — perfekt!
Nach dem Einchecken gibt es fünf Minuten Zeit zum Umziehen – und dann endlich ab auf die Meile. Direkt um die Ecke landen wir im Sultan – eine geniales Restaurant in dem man die vorbeiflanierenden Leute gut beobachten kann.
Als erstes gibt es Efes, türkisches Bier. Sehr lecker. Nach der Vorspeise, Raki und noch ein Efes, bringt der Kellner die großen Grillplatten. Was für eine leckere Schlemmerei. Als der Wirt später mit der Rechnung kommt, können wir es kaum fassen. Sechzig Euro für die ganze Sause, der Hammer. Der drastisch gefallene Wechselkurs der Lira kommt uns hier sehr gelegen. Blöd nur, dass ausgerechnet Donald Trump uns dieses ‚Geschenk‘ gemacht hat.
Um Mitternacht flanieren wir selbst noch ein wenig, schließlich müssen wir unbedingt noch die Hagia Sophia und die Blaue Moschee mit ihren prächtigen Beleuchtungen sehen. Ein wunderschöner Anblick.
Die Allgäu-Orientfahrer schwelgen noch ein wenig in alten Erinnerungen. Was war das schön, als wir 2015 hier auf dem Platz das Fahrerlager hatten.
Zum Ende des Abends werden wir noch von einem Platzregen überrascht. Es ist wirklich nicht zu glauben – das Tiefdruckgebiet zieht uns konsequent hinterher.
Gegen 01:30 Uhr heißt es in den komfortablen Zimmern dann ‚Licht aus!‘.

Bonnie&Clyde: Alles tutti
Stimmung im Team: Bestens; das Nervenflattern vom Kurvenfahren ist auch wieder vorbei 🙂
Kilometer: 680
Wetter: Das Tiefdruckgebiet verfolgt uns, abends heftige Schauer

Tag 3: Viseu de Sus nach Pitesti

Aufwachen und erst einmal orientieren. Wo bin ich überhaupt? Ach ja, mitten im nordrumänischen Urwald an der ukrainischen Grenze.
Die Nacht war wieder kurz, denn um 07.00 Uhr wird uns der Zug wieder talwärts fahren. Der Rallyetroß ist heute morgen wortkarg. Der ein oder andere hatte gestern Abend zu tief in das Glas mit einheimischen Getränkespezialitäten geschaut. Erstaunlich, dass Hans-Jürgen aus dem Harz überhaupt den Weg zum Zug gefunden hat.
Das Packen unserer sieben Sachen dauert einen Moment. Die geheimnisvolle Verpackungs-Mechanik der jetzt feucht-klammen Wurfzelte erschließt sich auch beim wiederholten Einpacken nicht wirklich.
Im Zug, der heute von einer dieselbetriebenen Lok bergab gezogen wird, gibt Frühstück. Ganz liebevoll haben Uli, Brigitte und ihre rumänische Hilfe Ingrid schon in der Nacht Sandwiches für alle zubereitet. Dazu gibt es Kaffee und Tee. Wie im Flugzeug schieben sich Brigitte und Ingrid mit den Köstlichkeiten durch die Sitzreihen der müden Karawanisten.
Gegen 09:00 Uhr – auch die Talfahrt dauert annähernd zwei Stunden – kommen wir an der Ausgangsstation am Bahnhof von Viseu de Sus an. Erstaunlich, wie viele Touristen jetzt schon auf die Fahrt in die Berge warten. Nach einem herzlichen Abschied machen wir uns auf den Weg Richtung Süden. Die meisten Rallyteilnehmer werden wir ab jetzt nicht mehr sehen. Zu unterschiedlich werden die Wege in den kommenden Wochen sein. Apropos kommende Wochen. Stefan ist jetzt angefixt, der Rallye-Virus hat ihn gepackt. Es nervt ihn jetzt schon, dass er die Reise nicht zu Ende fahren wird. Herzlich Willkommen, Stefan, das hier war nicht deine letzte Rallye-Reise. 😀

Unser Ziel heute ist die Transfogarasche Hochstraße, oder kurz Transfagasaran. Wir wollen mal schauen, wie die koreanischen SUVs diese serpentinenstrotzende Passstrecke bewältigen. Um dorthin zu gelangen, müssen zunächst Siebenbürgen über Cluj und Sibiu durchqueren. Am Morgen windet sich der Weg noch durch die dornröschen-verschlafenen Dörfchen, in denen die Alten schon früh auf ihren Bänken vor den Häusern sitzen. Ein altes Mütterchen hat sich ihre fetten Gans zur Gesellschaft an die Seite geholt. Mittags nehmen wir ab Cluj die Autobahn Richtung Sibiu. Hier sehen wir ein ganz anderes Rumänien, eines im Aufbruch gen Europa.

Nachdem wir die boomenden Industriegebiete von Sibu, in den sich deutsche Automobilisten breit machen, verlassen haben, wird es wieder ländlicher. Am Horizont taucht das imposante Gebirgsmassiv auf, das wir heute noch bezwingen wollen. Transfagasaran – was füe ein Zungenbrecher – ist eine 150km lange, im zentralen Abschnitt alpine Passtrasse, die die Große Wallachei (wieder etwas gelernt) im Süden des Landes mit Siebenbürgen und Transsilvanien im Norden verbindet. Vor der Einfahrt in die kurvige Serpentinenstrecke werden die elektronischen Gerätschaften zurechtgelegt, um die Fahrt auf dieser nervenkitzelnden Strecke angemessen in Film und Foto festzuhalten. Dann mal los.

Die Strasse ist erstaunlich gut ausgebaut, kein Unterschied zu den alpinen Pässen in Österreich oder der Schweiz. Das hätten wir so nicht erwartet. Wir sind zwar ziemlich spät dran – den Berichten zu Folge müsste man nahezu einen ganzen Tag einplanen – aber wir sind ganz und gar nicht allein auf der Strecke. So bleibt es bei einem gemütlichen Kurvencruising vor beeindruckender Bergkulisse. Schon nach einer guten Stunde voller Haarnadelkurven kommen wir auf der baumlosen Passhöhe an. Der Höhenmesser zeigt deutlich über 2.000 Meter an – zum Ende der Reise soll es im Pamir dann doppelt so hoch gehen. Oha.
Von dem imposanten Blick hinunter in’s Tal mit der sich schlängelnden Strasse fertigen wir reichtlich Fotomaterial an. Noch vor ein paar Tagen haben hier Peter und Darius gestanden, die mit dem Team NoLimitz auf der BalkanExpress-Rally diesen Pass auf zwei Rädern genießen konnten (Grüße nochmal an dieser Stelle).

Nach kurzer Rast satteln wir die Pferde und machen uns gegen 19.00 Uhr auf den Weg weiter nach Süden. Wir wollen mindestens noch aus dem Tal heraus und dann einen Platz für die Nacht suchen. Wir schaffen es sogar bis Pitesti – aber an Zelten ist nicht zu denken. Ein schweres Gewitter zieht von Westen aus den Bergen herüber. Ok, Planänderung. Schnell über das bevorzugte Online-Portal ein Dach über den Kopf und ein Bett für die Nacht organisieren. Klappt. Für 15€ die Nacht inkl. Parkplatz und Dusche — und ein Restaurant soll es auch geben. Schon wieder Duschen – das ist ’ne wahre Luxus-Rally.

Im Agora Guesthouse, das idyllisch direkt an der vielbefahrenren Schnellstrasse liegt, ist das Restaurant schon geschlossen. Nach ein paar aufmunternden Worten wirft Irina die Küche doch noch mal an. Es gibt Huhn, Salat, Brot, Pommes und ein paar Dosen leckeres Ursus-Bier. Für zusammen 25€ sind wir nach diesem üppigen Mahl mit der richtigen Bettschwere ausgestattet. Nicht auszudenken, wenn wir jetzt draußen im Zelt schlafen würden. Draußen zieht ein heftiges Gewitter durch das Tal.

Bonnie&Clyde: Servolenkung knört bei beiden Fahrzeugen
Stimmung im Team: Anstrengend, aber prima
Kilometer: 533
Wetter: Das Tiefdruckgebiet verfolgt uns, abends hefiges Gewitter

Tag 2: Debrecen nach Viseu de Suus

Stefan steht morgens wieder senkrecht im Bett. Warum? Christoph sägt im Schlaf ganze Wälder nieder. Der Tag beginnt mit einem Duschfest. Genießen bis das Wasser kalt wird – wer weiß, wann der nächste Wasserstrahl unsere Häupter trifft.
Eva hat großartiges Frühstück gemacht und es gibt Rührei satt. Im Kaffeebecher steht der Löffel – der schwarze Teer weckt alle Lebensgeister.
Wir bummeln ein wenig rum und kommen gegen 09:30 Uhr los. Wobei das eigentlich 10:30 Uhr ist, denn gleich nach der Grenze überqueren wir die erste Zeitzone.
An der rumänischen Grenze werden wir das erste mal kontrolliert. Aber wohl nur, damit die Grenzer unsere Autos ein paar Minuten länger bestaunen können.
Hier in Rumänien fängt der Osten, fängt die Rallye erst so richtig an. Die Autobahn ist längst vorbei und unser Weg führt doch gleichwohl ärmliche, wie pittoreske Dörfer. Hier prägt der obligatorische Panjewagen immer noch die Szene, auch wenn auf den großen Feldern in den weiten Ebenen
zumeist große westeuropäische Landmaschinen im Einsatz sind. Mittlerweile hat sich das Wetter gebessert. Wir haben das Tiefdruckgebiet überholt und es ist wieder Hochsommer. Leider haben wir morgens zu lange gebummelt. Drei Stunden vor dem Ziel zeigt uns das Navi (pfui Teufel!), dass wir
um 15:50 Uhr in Viseu de Suus ankommen werden. Oha, das wird knapp. Schließlich sollen wir unbedingt PÜNKTLICH um 16:00 Uhr dort sein, belehrt uns das Roadbook. Es soll mit der Bahn (keine Ahnung, was für eine) weitergehen und die dürfe man nicht verpassen. Na dann: Rallye Mode ON! Wir wollen ein
wenig Zeit herausfahren. Da passt es ja super, dass das Gelände hügeliger und die Strassen kurviger werden. 🙂 In den nächsten zweieinhalb Stunden müssen Bonnie und Clyde zeigen, was ein untermotorisierter koreanischer SUV so alles kann. Nach Duzenden am Limit gefahrenen Kurven fangen bei Bonnie die Lager an zu quieken, ein erster zarter Hinweis auf den Status ‚Gebrauchtwagen‘. Aus den bewaldeten Hügeln heraus fahren wir jetzt direkt an der GRenze zur Ukraine entlang. Ein Mist, dass wir so knapp in der Zeit sind. Andrenfalls hätten wir eben noch schnell einen Länderpunkt extra machen können. Hier, in der Abgeschiedenheit im Norden Rumäniens wird es so richtig schön. Man merkt, dass es eine Gegend der Holzverarbeitung ist. Wir sehen prächtige, aus Holz gebaute Häuser mit ebensolchen
Zäunen und verschnörkelten Türen oder Toren. Eine besondere Augenweide sind die rein aus Holz erbauten Kirchen. Spitze, mit filigranen Holzschindeln bedeckte Türme krönen unzählige wunderhübsche eherne Gotteshäuser. Allein die Anmut dieser Dörfer hier lohnt die Reise.

Und dann endlich kommt Videu de Suus in Sicht. Wir kommen auf einem Bahnhof an — in dem gleich mehrere Dampflokomotiven qualmend und pfeifend auf den Dienstbeginn zu warten scheinen. Wir werden von Ulli, einem Schweizer Urgestein, empfangen; als erstes gibt es dann einen anständigen Schnaps. Der so lecker ist, dass wir gleich drei davon nehmen. Auf nüchternen Magen und schon ist Team Südheide glücklich. Während eine lokale Musikantentruppe für uns aufspielt trudeln dann langsam die anderen Teams ein. Und dann, als unser Oberorgansiator Borris mit einer Stunde Verspätung auch endlich da ist, heißt es ein paar Klamotten zusammensuchen und rauf auf den Zug.
Eine wunderschöne alte Dampflok mit drei Wägelchen zuckelt mit uns in die abgeschiedene Bergwelt. Zwei Stunden sind wir mit der Bimmelbahn unterwegs, bis wir an unserem Zielort mitten im OFF ankommen. Hier in den unzugänglichen Wäldern wird heute noch in gleicher Weise wie seit Jahrhunderten Holzwirtschaft betrieben. Und die kleine Bahn ist die einzige Verbindung in diesen Urwald hinein.
Oben angekommen schlagen wir schnell unsere Zelte auf – und dann wird gefeiert. Es gibt eine unendliche Menge an leckerm Essen, das Uli, seine Frau und ein paar lokale Helfer für uns zaubern. Dazu werden reichlich lokale Getränkespezialitäten gereicht und die mitgereisten Musikanten fideln für uns.
Das zum Schluß noch entzündete große Lagerfeuer wirkt als endgültiger Stimmungsverstärker: Wir sind definitiv zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Gegen Mitternacht endet der Tag und vier glückliche Südheide-Abenteurer werden vom dieselbetriebenen Stromerzeuger in den Schlaf gebrummt.

Bonnie&Clyde: Bonnie quietscht unter Last in der Kurve; einfach ignorieren
Stimmung im Team: prächtig
Kilometer: 400
Wetter: Sommer in Rumänien, kühl in den Bergen

TAG 1: Es geht ENDLICH LOS – Start in Hohenthann

SENKRECHT IM BETT (naja ‚Schlafsack auf Isomatte‘) steht Stefan, als pünktlich um Nullsechshundert die Glocke im Zwiebelturm der direkt benachbarten Kirche scheppernd die morgendliche Stille zerreißt. Und als ob es um einen Wettbewerb ginge, antwortet die Friedhofskapelle in nahezu gleicher Lautstärke. Und damit ja niemand wieder in müßigen Schlaf verfällt, mahnen die eisernen Kameraden dann viertelstündlich zum baldigen Kirchgang. Viel zu früh ist die Nacht also vorbei. Nur Paule, die Harzer Frohnatur, schnarcht noch seelig vor sich hin. Dabei hat sein Zelt – angeblich das Beste, was es preisleistungstechnisch zurzeit am Markt gäbe – in der Nacht ordentlich Nässe genommen. Ich sage nur ‚dreihunderter Wassersäule‘ 🙂
Die Zeit bis zum angepriesenen Weißwurstfrühstück überbrücken wir mit selbstgebrautem Kaffee. Jacobs löslich – sponsored by ‚JDE‘, Thorben sei Dank! – mit heißem Wasser aufgegossen. Gar nicht schlecht. Nach spärlicher Morgentoilette/Katzenwäsche bekommen wir die offiziellen Rally-Aufkleber auf die Fahrertüren. Jetzt sind Bonnie und Clyde perfekt. Langsam füllt sich der Hof mit den letzten ankommenden Teams. Wow, das Teilnehmerfeld ist echt überschaubar. 18 Autos sind insgesamt am Start. Wir sind eines von drei Teams mit zwei Fahrzeugen, die anderen fahren jeweils nur mit einem KFZ.
Carsten fiebert dem 09:00 Uhr Glockenschlag entgegen. Dann nämlich gibt es ein zünftiges Weißwurstfrühstück. Pünktlich dazu hat auch der Regen aufgehört und die ersten Besucher und Schaulustigen trudeln ein. Auch Frank und Katharina aus München sind dabei – sie haben uns schon 2015 beim Start der AllgäuOrient begleitet. Sie haben Josch aus der Landeshauptstadt mitgebracht, der als fünfter Mann am kommenden Samstag in Tiflis zur Südheide zusteigen wird. Und der die wichtigste aller Aufgaben hat — nämlich unsere ganzen Visa mitzubringen. Doch davon lieber später mehr.

Auf dem Hof der Schloßbrauerei sind jetzt alle Teams versammelt. Fahrer und Besucher inspizieren die zumeist liebevoll und künstlerisch gestalteten Fahrzeuge. Der vom Orga-Team ausgerufene Wettbewerb ‚Kürt das schönst Auto‘ endet für Bonnie und Clyde mit Platz 2 hinter dem souveränen VolkerVollgas.
Um Punkt 12:00 Uhr ist es dann soweit: START!
Endlich geht es los. Die letzten Stunden vor dem Losfahren sind echt die schlimmsten. Es hängt ein Vibrieren in der Luft, alle wollen jetzt los. Nachdem Borris und der Bürgermeister die letzten wichtigen Worte gesprochen haben, geht es mit einem Hupkonzert und unter dem Applaus der Zuschauer endlich über die Startlinie.

Das ultimative Abenteuer beginnt…
😀

Es ist eine relativ kleine Armada von Fahrzeugen, die sich auf den Weg gen Osten macht.
Euphorisiert cruisen wir in Kolonne die ersten Kilometer Landstrasse, bevor wir auf die Autobahn Richtung Österreich einbiegen.
Der Plan für den heutigen Tag: Kilometer fressen und möglichst weit nach Ungarn hineinfahren. An der Grenze sehen wir den Stau Richtung Deutschland.
Mann Herr Söder, was soll er Quatsch?!
Österreich lassen wir rechts und links liegen. Schon nach einigen hundert Kilometern trudeln aber die ersten Beschwerden aus der Heimat ein.
‚Schon schlapp gemacht?‘ ‚Wohnt ihr dort?‘ rauscht es aus dem Netz. Des Rätsels Lösung: Dem GPS-Tracker ist schon gleich die Puste ausgegangen.
Erst nach einem Batteriewechsel später am Tag sind wir wieder als ‚unterwegs‘ sichtbar.
Bonnie und Clyde laufen richtig gut, die Landschaft fliegt nur so an uns vorbei. Und schon machen wir den nächsten Länderpunkt: Ungarn.
Das Mautticket für Ungarn und Rumänien kaufen wir kurz vor der Grenze online während der Fahrt. Moderne Zeiten auch im Osten.
Vorbei an unendlichen Mais- und Sonneblumenfeldern geht es Richtung Budpest. Den Abend in der Metropole verbringen oder doch noch weiterfahren?
Wir entscheiden uns für’s Weiterfahren, da wir morgen pünktlich 16:00 Uhr im Fahrerlager in Viseu de Suus sein müssen. Debrecen heißt also unser
Tagesziel. Als Nachtlager dient uns das Euro Panzio – ein günstiges Hostel in der Innenstadt. Ein eben noch schnell online gebuchter Schnapper.
Eva, die Herbergsmutter, empfängt uns abends um 22:15 Uhr im kurzen Kleidchen vor der perfekt passenden Unterkunft. Zwei Zimmer, vier Betten, eine Dusche.
Das Restaurant um die Ecke serviert sogar noch Pasta – Carsten strahlt und ist glücklich. Für jeden noch zwei Bier und dann geht es um Mitternacht
ab auf die bequeme Pritsche. Was für ein Luxus an Ende eines langen Tages.

Bonnie&Clyde: perfekte Kondition, keine Mängel
Stimmung im Team: prächtig
Kilometer: 900
Wetter: Dauerregen bis zur ungarischen Grenze

(T-1) „Was jetzt noch fehlt, das braucht man nicht“

Samstagmorgen 05:30 Uhr — was war das für eine Nacht! Hab‘ kaum ein Auge zugemacht. Zwei Stunden Schlaf sind das mageres Ergebnis von ’nochmal so richtig ausschlafen‘. Da habe ich die Auswirkungen des Reisefiebers wohl doch unterschätzt. Ich musste die halbe Nacht noch Sachen packen, nicht nur Klamotten sondern auch mein ganzes elektronisches Gedöns. Immer wieder der Gedanke daran, was ich wohl noch vergessen habe.
WAS JETZT NOCH FEHLT, DAS BRAUCHT MAN NICHT — mit diesem Gedanken im Kopf hole ich Stefan aus Bremen ab. Los geht’s in die alte Heimat, Cord und Carsten warten schon. Die letzten Handgriffe an den Autos, die von Cord gebastelten Dachträger müssen noch verschraubt werden. Ich liebe die drangeschraubten Skier in Wagenfarbe. Dann noch schnell bei Mama Kaffee ziehen und ein Brötchen auf die Faust – los geht’s Richtung Süden.
In Rhüden am Harz treffen wir die Jungs vom Harzer Tajik Rally Team. Das halbe Dorf ist zum Rewe-Markt gepilgert, um ihre Helden mit einem letzten Lebewohl zu verabschieden. Zusammen mit Paule und seinen drei Kameraden aus dem Harz fahren wir über die staufreien Strassen in Ostdeutschland im Konvoi Richtung Bayern.
Und schlagartig ist der Sommer vorbei. Je näher wir Seehofers Freistaat kommen, desto schlechter wird das Wetter. Regen. REGEN! Die WetterApp zeigt es dann: Hohenthann, unser Tagesziel, ist aktuell der kälteste Ort in Mitteleuropa. Tolle Wurst.

Um kurz vor 18:00 Uhr laufen wir dann auf dem Hof der Schloßbrauerei ein. Oh, außer uns ist (noch?) niemand da. Nach einer Weile trudeln dann doch der Oberorganisator Borris und Sabine samt Nachwuchs ein. Wir stellen Bonnie und Clyde – so heißen unsere zwei vierrädrigen Kameraden seit heute – in Fluchtrichtung ab und errichten unser kleines Zeltlager auf der regennassen Obstwiese. Bei der Anmeldeprozedur gibt es einen Sechserträger der lokalen Bierspezialität pro Auto – nehmen wir gern!
Nachdem noch zwei, drei weitere Teams eingetrudelt sind, steigt die PreStartParty. Mit anderen Worten: Wir gehen gemeinsam in der Kneipe gegenüber Essen. Standesgemäß gibt es Wiener Schnitzel ‚echt‘ und dazu Hohenthanner Weißes. Lecker, lecker.
Natürlich wird über erlebte und vor uns liegende RallyeAbenteuer gefachsimpelt. Die Erzählungen von zwei Tajik-Fahrer des letzten Jahres machen noch einmal deutlich: Da liegt ein wirklich cooles Abenteuer vor uns.
Mit zwei Stunden Schlaf aus der letzten Nacht und 900 Kilometern Autobahnasphalt in den Knochen heißt es für die Helden der Südheide aber bereits um 22:30 Uhr „Licht aus“. Ein leises Tröpfeln aus den regenschwangeren Wolken begleitet uns durch eine traumlose Nacht.